Grüne Gentechnik
Seit langem arbeitet man in der Züchtung an neuen Apfel- und Rebsorten, die gegenüber Schaderregern, Hitze und Trockenheit resilienter sind. Die Methoden haben sich in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt und ermöglichen mittlerweile einen deutlich effizienteren, schnelleren und gezielteren Züchtungsprozess.
Am 5. Juli 2023 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag zur Reform des Gentechnikrechts vor, der eine Deregulierung jener Pflanzen vorsieht, die durch neue gentechnische Verfahren (NGT1) erzeugt wurden. Diese sollen künftig rechtlich den Pflanzen gleichgestellt werden, die auf natürlichem Weg oder durch konventionelle Züchtung entstanden sind.
Szenario
Zu den wichtigsten Herausforderungen der Südtiroler Landwirtschaft zählen die Reduzierung von Pflanzenschutzmitteln und die Anpassung an den laufenden Klimawandel. Als die Forschungseinrichtung für die Südtiroler Landwirtschaft hat es sich das Versuchszentrum Laimburg zur Aufgabe gemacht, diesen Herausforderungen auch durch die Prüfung und Züchtung neuer Apfel- und Rebsorten zu begegnen. Diese neuen Sorten sollen einerseits eine erhöhte Resilienz gegenüber Hitze und Trockenheit aufweisen und andererseits vor allem tolerant gegenüber Schaderregern sein, um den Bedarf an Pflanzenschutzmitteln signifikant zu senken und den Südtiroler Obst- und Weinbau nachhaltiger zu gestalten.
Der Weg dorthin führte bisher über die Züchtung durch klassische Kreuzungs- und Selektionsarbeit und durch Sortenprüfung. In den letzten Jahren haben sich neue Züchtungsmethoden entwickelt (New Breeding Technologies, oder New Genomic Techniques, NGT), welche das Potenzial haben, die zeit- und kostenaufwändige Kreuzungszüchtung abzukürzen, indem definierte Eingriffe in das Genom bereits bestehender Qualitätssorten vorgenommen werden. Im Unterschied zur klassischen Gentechnik entstehen dabei neue Sorten, die sich nicht von jenen Sorten unterscheiden, die auch auf klassische Weise gezüchtet werden könnten. Daher herrscht in der wissenschaftlichen Community fast einstimmig die Meinung, dass von diesen neuen Sorten kein größeres Risiko für Mensch und Umwelt hervorgeht als von klassisch gezüchteten Sorten. Gleichzeitig können sie jedoch gezielt und zeitnah bestehende Sorten resilienter machen. Somit ist man sich auch darüber einig, dass diese Methode der Züchtung nicht wie klassische Gentechnik zu regulieren wäre, sondern eine eigenständige Gesetzgebung verdient, welche den Anbau, das Inverkehrbringen und den Verkauf dieser Sorten erleichtert.
Kreuzung, Mutationszüchtung, klassische Gentechnik und Genome Editing: ein Rückblick auf die Entwicklung der Züchtungsmethoden
Schon bei der Bezeichnung herrscht Unklarheit. „Grüne Gentechnik“ steht nicht für „bio“ oder „ökologisch“, sondern für den Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft. Im Unterschied dazu beschäftigt sich die „Rote Gentechnik“ mit deren Einsatz in der Medizin und Pharmazie, sowie die „Weiße Gentechnik“ in der industriellen Biotechnologie und die „Graue Gentechnik“ in der Umweltbiotechnologie.
Jungsteinzeit |
Schon kurz nach der Entstehung der Landwirtschaft wurde mit der Pflanzenzüchtung begonnen, indem man Pflanzen selektionierte, die aufgrund spontan aufgetretener Mutationen vorteilhafte Merkmale aufwiesen. Dadurch entstanden neue Pflanzen mit besonderen Eigenschaften, wie zum Beispiel höhere Produktivität, größere Früchte oder Körner, die leichter zu verarbeiten waren. Die Selektion und Vermehrung von spontan auftretenden Mutationen ist gesetzlich in der EU ohne spezielle Genehmigungsverfahren zugelassen.
|
Spätes 19. Jahrhundert |
Bei der klassischen Kreuzungszüchtung wird zunächst ein Zuchtziel definiert, z. B. besserer Geschmack, mehr Ertrag oder eine dauerhaftere Resistenz. Anschließend wählt man passende Elternsorten – entweder zwei Kultursorten oder eine Kultursorte und eine wildverwandte, resistente Pflanze – in der Hoffnung, dass sich die gewünschten Eigenschaften in den Nachkommen kombinieren. Bei der Kreuzung vermischen sich die Gene zufällig, sodass in anschließender Selektionsarbeit aufwändig jene Nachkommen erhoben werden müssen, welche die optimalen Eigenschaftskombinationen besitzen. Die Kreuzungszüchtung ist zeitaufwändig und kann beim Apfel 20 Jahre oder mehr dauern.
Diagnostische molekularbiologische Analysemethoden (Marker-gestützte Selektion) verbessern diesen Prozess erheblich, indem sie gezielt den Genotyp der Nachkommen analysieren und somit eine effizientere Selektion ermöglichen, ohne den Phänotyp berücksichtigen zu müssen. Kreuzungszüchtungen sind gesetzlich in der EU ohne spezielle Genehmigungsverfahren zugelassen |
1930er Jahre |
Bei der Mutationszüchtung handelt es sich um eine Technik, bei der man nicht auf in der Natur spontan auftretende Mutationen wartet, sondern Pflanzensamen oder -organe Chemikalien oder radioaktiven Strahlen aussetzt, um zufällige Mutationen hervorzurufen. Der Nachteil dieser Technik ist, dass nicht nur Mutationen für gewünschte Merkmale eingebaut werden, sondern auch viele weitere unerwünschte Mutationen, deren Effekt man nicht kennt und die mühsam ausgekreuzt werden müssen. Diese Pflanzen gelten gemäß lautender Gesetzgebung nicht als gentechnisch verändert und werden sowohl in der konventionellen als auch in einem Teil der biologischen Landwirtschaft angebaut. Beispiele: Hartweizen für Pasta, kernlose Wassermelone, rosarote Pampelmuse, Apfelsorte „Golden Haidegg“ sowie fast alle Gerstensorten, die heute angebaut werden, gehen auf Mutagenese-Züchtung zurück.
Die Mutagenese-Züchtung ist gesetzlich in der EU ohne spezielle Genehmigungsverfahren zugelassen.
|
Ende der 1970er Jahre |
Die klassische Gentechnik wird entwickelt. In dieser Technik werden ausgewählte Gene aus unterschiedlichsten Organismen in Pflanzen übertragen, um diesen Pflanzen gewünschte Eigenschaften zu vermitteln, wie etwa Resistenz gegen Schaderreger oder gegen Herbizide. Zahlreiche Studien zeigen, dass dadurch deutlich weniger Insektizide eingesetzt werden müssen, bei gleichzeitig höheren Erträgen. Kritikpunkte der klassischen Genetik: - Es kann nicht gesteuert werden, an welcher Stelle im Pflanzengenoms das neue Gen eingebaut wird. - Um den Transformationserfolg zu beobachten, werden zusätzliche Gene für Antibiotika-Resistenzen eingebaut. - Aus der Kombination unterschiedlichster Organismen werden Pflanzensorten entwickelt, die auf natürliche Weise so nie entstehen könnten.
Der Anbau und das Inverkehrbringen von genetisch modifizierten Pflanzen ist in Europa an ein aufwändiges Zulassungsverfahren geknüpft, in welchem gemäß Vorsorgeprinzip durch zahlreiche Studien, vom Labor bis zum Feld, nachgewiesen werden muss, dass keine nachteiligen Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt zu erwarten sind.
|
2012 |
Mit Genome Editing (der sogenannten „Gen-Schere“ CRISPR/Cas) werden gezielt und präzise einzelne Mutationen hervorgerufen, wodurch gewünschte Eigenschaften erreicht werden können, ohne darauf hoffen zu müssen, dass diese Mutationen irgendwann und irgendwo spontan auftreten. Mithilfe dieser Technologie lassen sich zum Beispiel etablierte Apfelsorten oder hochqualitative Rebsorten resistenter gegen Schorf oder Mehltau machen, um somit den Anbau nachhaltiger zu gestalten. Im Gegensatz zur klassischen Gentechnik geschieht die Veränderung an einer präzisen Stelle im Genom, und nicht an einer zufälligen. Außerdem werden keine artfremden Gene eingefügt, sondern eine Mutation in bestehenden Genen hervorgerufen. Im Gegensatz zur Mutagenese-Züchtung mittels radioaktiver Strahlung kommt es durch Genome Editing zu keinen unbeabsichtigten Veränderungen im Erbgut. Gleichzeitig führt Genome Editing zu einer Beschleunigung der Züchtung im Vergleich zu konventionellen Methoden. Nota bene: Die Mutationen, die durch Genom-Editierung eingeführt werden, können nicht von Mutationen unterschieden werden, die in der Natur spontan auftreten. Dies erschwert eine Kontrolle und eine Rückverfolgbarkeit genom-editierter Pflanzen beträchtlich. Es bedeutet aber gleichzeitig, dass von genom-editierten Pflanzen kein größeres Risiko ausgehen kann als von Pflanzen mit Spontan-Mutationen. Aus diesem Grund besteht einheitlich wissenschaftlicher Konsens, dass genom-editierte Pflanzen nicht als “klassisch gentechnisch” gelten, sondern durch eine neue Richtlinie gehandhabt werden sollen.
Der Anbau und das Inverkehrbringen von genom-editierten Pflanzen ist in Europa zurzeit an dasselbe aufwändige Zulassungsverfahren geknüpft, wie die klassische Gentechnik. Gemäß Vorsorgeprinzip muss durch zahlreiche Studien, vom Labor bis zum Feld, nachgewiesen werden, dass keine nachteiligen Auswirkungen auf Mensch, Tier und Umwelt zu erwarten sind.
|
Vorgeschlagene gesetzliche Neuerungen
Die Europäische Kommission hat am 5. Juli 2023 einen Vorschlag zur Reform des Gentechnikrechts vorgelegt. Dieser Vorschlag befindet sich derzeit im legislativen Prozess der EU. Kernpunkt der Reform ist die Deregulierung von Pflanzen, die durch neue gentechnische Verfahren (NGT1) erzeugt wurden. Dies basiert auf der wissenschaftlichen Einschätzung, dass von genom-editierten Pflanzen kein höheres Risiko für Mensch und Umwelt ausgeht als von natürlichen Züchtungen. Auswirkungen der Reform:
Offene Themen, die im Rahmen der neuen Richtlinienerstellung intensiv diskutiert werden:
|
Die Forschung am Versuchszentrum Laimburg: zeitgemäß und unabhängig
Ziel der Forschung des Versuchszentrums Laimburg ist es, den Anbau von robusteren Pflanzen zu fördern und somit den Aufwand von chemischen-synthetischen Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren, klimabedingte Ertragsausfälle zu minimieren und somit zu einer nachhaltigen Produktion von Lebensmitteln beizutragen.
Es ist uns wichtig, die Genom-Editierung nicht von vornherein abzulehnen, sondern sie als Chance für einen nachhaltigeren Obst- und Weinbau zu sehen. Sie ist eine von vielen Methoden, die einen wichtigen Beitrag für eine zukunftsträchtige Landwirtschaft leisten kann, und sollte daher objektiv erforscht werden. Als Forschungseinrichtung stützen wir uns auf objektive Daten, die durch wissenschaftliche Methoden ermittelt wurden.
Die Genom-Editierung und andere neue Züchtungsmethoden sind ein zentraler Bestandteil innovativer Züchtungsstrategien. Sie können dazu beitragen, Apfel und Rebe an klimatische Herausforderungen anzupassen und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren. Damit unterstützen sie einen umweltschonenden Anbau, der im Fokus des Versuchszentrums Laimburg steht. Die Forschung an neuen Züchtungsmethoden passt somit ideal in das Handlungsfeld der „innovativen Züchtungsstrategien“ innerhalb des Forschungsschwerpunktes “Digitale Innovation und smarte Technologien”.
Das bereits bestehende Netzwerk regionaler und internationaler Kooperationspartner unterstützt das Versuchszentrum Laimburg in seinem Vorhaben, an neuen Züchtungsmethoden zu forschen und dabei das Rad nicht neu zu erfinden. Forschungseinrichtungen wie die Fondazione E. Mach im Trentino, Agroscope in der Schweiz, oder das Julius-Kühn-Institut in Deutschland arbeiten bereits seit mehreren Jahren an der Entwicklung neuer Züchtungsmethoden und stehen mit dem Versuchszentrum Laimburg in regem wissenschaftlichem Austausch.
Beim Einsatz der neuen Züchtungsmethoden setzt das Versuchszentrum Laimburg den Hauptfokus auf die Steigerung von Resistenzen gegen bereits gut erforschte Krankheiten wie Schorf und Feuerbrand beim Apfel, sowie Echten und Falschen Mehltau bei der Rebe. Des Weiteren werden Augenmerke auf eine verringerte Anfälligkeit gegenüber Glomerella Leaf Spot und eine erhöhte Trockentoleranz gelegt. Ein wichtiges Forschungsthema stellt außerdem die Weiterentwicklung des Genome-Editing-Ansatzes dar, welcher bei mehrjährigen Kulturpflanzen wie Apfel und Rebe noch einige technische Herausforderungen birgt.